Camila Jun
Camila Jun ist eine Künstlerin, die man gehört haben muss, um zu verstehen, wie sich House-Musik heute in Brasilien und weltweit wandelt. Ihr Werdegang ist keine Aneinanderreihung von Erfolgen, sondern ein stetiges Ringen um Identität, Klang und Wirkung – zwischen Underground und Mainstage, Lokalität und Globalität. Im Folgenden versuche ich, den inneren Kern ihrer musikalischen Persönlichkeit freizulegen, der sich durch ihre Herkunft, ihren Stil, ihre Meilensteine und ihre Kollaborationen zieht.
Camila Jun stammt aus Brasília, einer Stadt, deren urbane Architektur und kulturelle Breite sie früh mit offenen Sinneswahrnehmungen ausstatteten. Sie wuchs in einer musikalischen Landschaft auf, die nicht allein von elektronischer Musik, sondern auch von Disco, Soul, Jazz und lokalen Rhythmen bestimmt war. All diese Klänge integriert und transformiert sie in ihre Musik. In Interviews betont sie selbst immer wieder, wie wichtig ihr die Geschichte des House ist, insbesondere die Ursprünge in Chicago, die Rolle schwarzer Pioniere und die Verbindung von Musik und sozialem Kontext.
Auch Projekte außerhalb rein musikalischer Pfade zeigen ihren Blick für Raum und Atmosphäre, beispielsweise eine Serie von Livestreams und audiovisuellen Sets an ikonischen Orten Brasílias, bei denen Musik, Fotografie und Stadtbild zusammenspielten. Dies geschieht nicht aus Show, sondern aus Liebe zur Stadt, als Rückgriff auf Herkunft und Identität. Der künstlerische Aufstieg Camila Juns lässt sich nicht allein an Veröffentlichungen messen, sondern auch an ihrer zunehmenden Sichtbarkeit und ihrem gesteigerten Anspruch – technisch, stilistisch und ästhetisch.
Sie begann als DJ, kuratierte Sets, wirkte lokal und prägte sich durch Long Sets und Live-Formate – eine Phase, in der sie Klangräume ausprobieren, Struktur lernen und das Publikum lesen konnte. Ihre ersten größeren internationalen Schritte unternahm sie, als sie außerhalb Brasílias auftrat, beispielsweise in Portugal und Kroatien, und sich dort in Long Sets bewährte. Diese Erfahrungen erlaubten es ihr, ihr musikalisches Narrativ weiterzuspinnen.
In puncto Releases zählen zu den zentralen Wendepunkten etwa „Super After“ auf Toolroom, ein Track, der nicht nur einen Fuß in ein internationales Label setzte, sondern auch zeigte, wie sehr sie zwischen Club-Kompatibilität und persönlichem Ausdruck moduliert. Ebenfalls bedeutend ist: „Shake The Ground“ in Kooperation mit Roland Clark auf Nervous Records – hier verschränken sich ihre präzise Produktionsarbeit und eine Stimme, die die House-Tradition verkörpert.
Neuere Veröffentlichungen wie „Tell Us“ auf The Cross Records und „The Giggle“ (Toolroom Trax) zeigen ihren Weg in Richtung Tech House mit stärkeren, dunkleren Basslines, die gelegentlich einen Tribal-Touch haben und klar cluborientiert sind. Ein weiteres Zeichen ihrer Reifung ist, dass ihr Song „Let Me Feel” 2025 über Toolroom erschien – was nicht überraschend ist, aber einen Schritt darstellt, der sowohl ihren Sound konsolidiert als auch ihre Reichweite erweitert.
Live ist Camila Jun längst kein Geheimtipp mehr. Sie trat bei Festivals wie Primavera Sound, Universo Paralelo, Quartzo und BOMA auf. 2025 debütierte sie auf der Mainstage des Tomorrowland Brasil, was zeigt, wie sehr ihr Name und ihre Performance inzwischen auch in großen Kontexten Gewicht haben.
Wenn man die Musik von Camila Jun hört, spürt man eine Balance: Energie und Tiefe, tanzbare Härte und melodiöse Offenheit, Club-Ästhetik und kulturelle Identität. Sie bewegt sich oft im Bereich House und Tech House, doch das Genre ist für sie weniger Grenze als Rahmen. Sie lässt Disco-Spuren, Soul-Emotionen und brasilianische Rhythmen durchscheinen. Nicht als Effekthascherei, sondern als Teil ihres persönlichen Vokabulars.
Ein Beispiel ist der Track „Tell Us“: Ein Tech-House-Song, der sich in puncto Bass und Groove nicht versteckt. Der Song nimmt sich Zeit, um Spannung aufzubauen und ein Peak-Time-Roller zu sein. Doch auch Betonungen wie Vocal Loops, subtile melodische Elemente oder das Spiel mit Rhythmusvariationen zeigen, dass sie mehr sein will als „nur“ Clubmusik.
Stilistische Erweiterungen zeigt sie in Projekten, die nicht rein auf der Tanzfläche stattfinden: die visuellen Sets, die Livestreams aus Brasília, all jene Formate, in denen sie Raum, Architektur, Licht und Klang zusammenführt. Mit ihrer Labelarbeit bei Tônica hebt sie sich aus der Rolle der DJane/Produzentin heraus und wird zur Kuratorin und Impulsgeberin für eine Szene.
Im Laufe ihrer Karriere hat Camila Jun mit renommierten Labels wie Toolroom, Toolroom Trax, Nervous Records und Wh0 Plays zusammengearbeitet. Diese Labels stehen für House/Tech House mit Struktur, Sichtbarkeit und Anspruch. Exemplarisch ist ihre Arbeit mit Roland Clark („Shake The Ground“): Eine Stimme, die Geschichte hat, trifft auf den heutigen Klangtext, den sie gestaltet.
Ihr Label und Eventformat Tônica in Brasília ist sowohl Manifest als auch Labor: Sie hat damit einen Raum geschaffen, in dem sie selbst über Kuratierung, Programm und Ästhetik entscheidet, ein Umfeld, in dem sich Szene und Publikum zugleich gespiegelt sehen und weiterentwickeln können.
Live verlangt sie mehr als das Abspielen von Tracks: lange Sets, wie bei ihrer Europatournee, in denen sie Raum zum Erzählen gibt. Sie nutzt Setformate sowohl für Intensität als auch für Erzählung. Ihre Livepräsenz verbindet Performance, Publikum und Ort, wobei sie auch visuelle Komponenten einsetzt. In Brasilien, aber zunehmend auch international, zeigt sie, wie dieser Spagat zwischen Club und Festival, Underground und Mainstage gelingen kann.







