vtss
VTSS, alias Martyna Maja, formt ihre Kunst im Spannungsfeld von Härte und Zerbrechlichkeit, von EBM, Industrial-Techno, Rave und experimenteller Klangfärbung. In Warschau geboren und geprägt, im Underground aufgewachsen, in Berlin geschliffen und in London neu inspiriert, verbindet sie in ihrem Schaffen rohe Energie mit persönlicher Tiefe. Von den frühen DJ-Sets über pulsierende Live-Performances bis hin zu eigenständigen, genreübergreifenden EPs – jeder Schritt reflektiert den Mut zur Veränderung und die Suche nach Ausdruck jenseits der Erwartungen. Musik als Ausdruck innerer Landschaften, in denen der Körper tanzt und das Herz rast.
Martyna Maja kam in Warschau zur Welt und kam früh mit elektronischen Klängen in Berührung. Schon als Jugendliche lauschte sie Bands wie Depeche Mode und Placebo. Mit etwa 13 Jahren entdeckte sie schließlich Aphex Twins‘ „To Cure A Weakling Child”, ein Moment, der vieles in ihr in Bewegung brachte.
Der Untergrund Warschaus war ihre Schule: DIY-Partys, mutige Ausdrucksformen, Geräusche zwischen Elektro, EBM und Hardcore. Nachdem sie sich entschieden hatte, das Rechtsstudium aufzugeben, begann sie eine Ausbildung zur Tontechnikerin, experimentierte mit Ableton sowie analoger und digitaler Hardware.
Ein wichtiger Meilenstein war die 2018 auf Intrepid Skin veröffentlichte EP Self Will mit harscher, ungeschönter Clubenergie, die ihre Wurzeln deutlich spürbar macht. Weitere prägende Veröffentlichungen wie Identity Process auf Repitch und Self Control auf Haven formten ihr Profil an den Rändern von Techno, EBM und Industrial.
Der Umzug nach Berlin im Jahr 2018 markierte sowohl räumlich als auch kreativ einen Wendepunkt: neue Clubs, neue Energie, die Berliner Techno-Szene bot Bühne und Herausforderung. Doch es war London ab 2020, wo sie sich in Ruhe und zugleich in Bewegung neu erfand: offener in Bezug auf Genres, mutiger in Ausdrucksformen. Die EP Projections (2022) ist ein solcher Umbruch, der bewusste Schritte in Richtung stilistischer Vielfalt und zurück zu experimentelleren Sounds zeigt.
Bei VTSS Kindheit und Jugend wurde eine akustische Breite von 90er-Eurodance über Indie, New Wave, E-Electro bis zu experimenteller, abstrakter elektronischer Musik festgestellt. Aphex Twin war ein Initialzünder, später kamen die härteren Kanten – EBM und Industrial – als Ausdruck von Intensität und Widerstand hinzu.
Die politische, soziale und kulturelle Umgebung Warschaus – die Underground-Szene, DIY-Kultur und Subkultur – lieferte nicht nur Sound, sondern auch eine Haltung: das Anderssein zulassen, nicht-kommerzielle Räume suchen und Sound als Stimme nutzen. Berlin brachte Strenge und Dunkelheit, Clubs mit klaren Regeln, aber auch Möglichkeiten der Eskalation. London schließlich inspirierte durch Vielfalt, Genre-Flüssigkeit und Begegnungen mit Leuten außerhalb des reinen Techno-Publikums.
Ein weiterer Einfluss sind Kollaborationen und der Diskurs mit anderen Szenen. VTSS spricht von kollektiven Erfahrungen mit Künstlern, mit denen sie zusammenarbeitet, und von Sammlungen wie Discwoman. Hier entsteht Austausch – und das formt oft kreative Mutationen.
VTSS ist nicht allein „Techno“: Ihr Spektrum umfasst Industrial, EBM, Rave, Acid, Hardcore, Electropop und manchmal Trance-Anklänge sowie experimentelle Texturen. Die frühen Tracks sind brutal, metallisch und treibend, während spätere Abschnitte Raum für langsameres Tempo, vokale Experimente und melodische Schatten bieten. Der Titel Projections etwa reflektiert ihren Wunsch, sich über Grenzen hinwegzubewegen und Genres fließender zu gestalten.
„Make You Scream“ etwa weist in Richtung eines mutigeren Pop-Electro, ohne sich vom Club abzuwenden, sondern indem es den bisherigen Pol erweitert.
Die Musik von VTSS ruft Spannung hervor: das Unbehagen vor dem Unbekannten, das Adrenalin kurz vor dem Drop, aber auch Momente der Reflexion. Es ist Musik, die den Körper erschüttert und zugleich den Geist wachhält. Es gibt Dunkelheit, Explosionen von Bass, harsche Kickdrums und dissonante Synthlinien, aber auch – und das wird immer stärker – Momente der Verwundbarkeit, des Zweifelns und des Innehaltens.
Die Stimmung ist oft martialisch und industrial: metallisch, roh, mechanisch. Doch durch Brüche, durch Vocals und Tempowechsel kommt ein menschlicher Puls durch. Angst, Aufruhr, Wut und Sehnsucht. VTSS nutzt Klang, um Innenräume sichtbar zu machen: Räume des Widerstands, Räume der Verwandlung, Räume, die auch gefeiert werden, jedoch nicht uneingeschränkt konsumiert. Ihre Musik hat eine Seele, keine Pose.
Der Prozess von VTSS kann als permanentes Herausfordern verstanden werden – sowohl von sich selbst als auch von Erwartungen. Früh war sie die DJ-Power-Quelle, jemand, der die Tanzfläche sprengt. Später trat sie als Produzentin mit Konzept stärker hervor: EPs wie Self Will, Self Control, Projections und Circulus Vitiosus zeigen Veränderung – nicht aus Kompromiss, sondern aus innerem Drängen.
Ästhetisch wandelt sich das Bild: von roher Underground-Technik, metallischen Schatten und harten Frequenzen hin zu mehr Licht, zu Klangflächen, Vocals und der Artikulation von Identitäten. Auch visuell entsteht ein charakteristisches Profil: Musikvideos mit surrealen Bildern und dystopischen Sci-Fi-Elementen sowie Performance als Selbstausdruck und Provokation. Ein Beispiel hierfür ist die Zusammenarbeit mit „Actual Objects”, bei der digitale und natürliche Welten verschwimmen und künstliche Illusionen auf reale Texturen treffen.
VTSS kooperiert selektiv, aber dort, wo es funkt. Kollaborationen mit LSDXOXO (z. B. Goin Nuts) zeigen, wie sie Grenzen zwischen Clubsound, Queerness und Performance verwischt. Ebenso sind Projekte mit Varg und Randomer, mit denen sie experimentellere Räume eröffnet, zu nennen. Durch Remix-Arbeit, Split-Releases und gemeinsame Auftritte entsteht ein Netzwerk, in dem man sich gegenseitig inspiriert.
VTSS’ Live-Präsenz ist Teil des Mythos: Sie hat nicht einfach in Clubs wie dem Berghain, der Säule, Jasna 1 in Warschau, auf Brutaż-Partys oder auf internationalen Festivals wie Unsound, Atonal, Awakenings etc. aufgelegt, sondern Räume gestaltet – körperlich, klanglich, emotional.
Ihre DJ-Sets sind oft brutal schnell, laut und dicht. Ihre Live-Acts nehmen manchmal Abstand vom reinen Club-Terror und zeigen Vielschichtigkeit, Ambient-Schichten, Verzerrungen und Vocals. Die visuellen Aspekte werden wichtig: Musikvideos wie zu „Make You Scream” oder Projekte mit „Actual Objects”, in denen Video, VFX, Surroundräume und die dunkle Architektur von Licht und Schatten dazugehören.
Ein prägnantes Set war beispielsweise ihr Auftritt bei Tomorrowland 2025 in einem B2B mit SPFDJ – ein Moment, der zeigt, wie VTSS ihre Hardcore-/High-Speed-Rave-Komponenten mit Festival-Skala verbindet.







